Das Nebelhaus by Berg Eric

Das Nebelhaus by Berg Eric

Autor:Berg, Eric
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
veröffentlicht: 2013-11-01T04:00:00+00:00


15

Ich wachte gerne in Yims Jugendzimmer auf. Der kleine Raum erinnerte mich an das frühere Zimmer von Jonas, die Sperrholzmöbel waren ähnlich und auch die Wanddekorationen: Wimpel und Sportabzeichen, Poster und Konzertplakate. Welche Mutter träumt nicht davon, mal im Zimmer ihres Sohnes zu schlafen, wenn er nicht da ist? Ich hatte das manchmal getan und stellte mir nun vor, dass Frau Nan mir darin geglichen hatte. Yim war schon vor zwanzig Jahren ausgezogen, aber das Zimmer sah immer noch so aus, als wohne ein Achtzehnjähriger darin. Die Fotos über dem Bett hatte meiner Überzeugung nach nicht Yim, sondern Frau Nan nach seinem Auszug aufgehängt. Welcher Jugendliche pinnt schon Babybilder von sich an die Wand?

Ein Foto zeigte ihn wenige Wochen nach seiner Geburt, ein zweites im Alter von etwa einem Jahr, ein drittes am Ufer eines großen tropischen Flusses, eingepackt in Tuchwindeln und mit einem lieblichen Lächeln auf den Lippen, als hätte er sich soeben erleichtert. Auf dem nächsten Bild war er bereits sieben oder acht Jahre alt und posierte neben einem Schneemann, der so wenig gelungen war, dass nur ein Kind stolz darauf sein konnte.

Das Zimmer war meiner festen Überzeugung nach lange Zeit Frau Nans Museum gewesen, das derjenige, dem es gewidmet war, ab und zu durch seine Anwesenheit neuerlich geweiht hatte. Durch die Tragödie der Blutnacht war es jedoch umgewidmet worden – jetzt war es Yims Museum, in memoriam Nian Nan. Wenn er diese Fotos betrachtete, sah er vermutlich weniger sich selbst darauf als die Person, die sie aufgenommen und ihnen einen Platz gegeben hatte.

Mit seiner Mischung aus Normalität und Sentimentalität schaffte es der Raum, dass ich mich darin sicher fühlte. Doch allein der Gedanke, aufs Klo gehen zu müssen, ließ mich verkrampfen. Ich schlief und erwachte in Yims Revier, von dem ich spürte, dass Herr Nan es nicht betreten würde. Sobald ich jedoch einen Schritt vor die Zimmertür setzte, verließ ich dieses sichere Refugium und begab mich in das beunruhigende von Yims Vater.

Die Szene im Nebelhaus hatte mir zugesetzt. Nüchtern betrachtet war nichts weiter passiert, als dass Herr Nan den dramatischen Sturmsatz aus Beethovens sechster Symphonie gespielt hatte. Aber schon die Idee, an einem solchen Ort eine solche Musik zu spielen, in dem Wissen, dass ich im Haus war, hatte etwas Krankes an sich. Und dazu sein Grinsen! Ich hatte die Schlüssel dagelassen und war gegangen.

Inzwischen flößte Herr Nan mir mehr als Unbehagen ein, er machte mir Angst. War das seine Absicht? Oder war er einfach bloß ein verwirrter alter Mensch? Das eine schloss das andere nicht aus.

Von diesem Moment an verhielt ich mich wie ein scheues Sumpfhuhn, wenn ich mich im oder auch nur in der Nähe von dem Haus des Alten bewegte. Ich wurde hellhörig, blickte unentwegt nach allen Seiten, erkundete mit weit vorgestrecktem Hals das Terrain, bevor ich einen Raum betrat. Ich huschte über den Flur ins Klo, huschte wieder zurück, huschte in die Küche, biss in aller Eile in ein Brötchen, achtete auf Geräusche, nippte am Tee, achtete auf Geräusche, huschte zur Tür hinaus … Nur wenn Yim bei mir war, entspannte ich mich ein wenig.



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